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Um das nonterritoriale Büro architekturpsychologisch einordnen zu können, braucht es zunächst einiger grundsätzlicher Überlegungen. Überall, wo Menschen zusammen leben und zusammen arbeiten, bilden sich soziale Systeme, die Struktur und Ordnung in das Beziehungsgeflecht bringen. Ohne diese sozialen Systeme würden Konflikte überhand nehmen, und wir wären ständig damit beschäftigt, unser Miteinander neu zu verhandeln. Nur wenn wir gewisse Strukturen schaffen, denen sich mehrere Menschen bzw. Gruppen verpflichtet fühlen, gibt es eine soziale Ordnung. Nur dann können wir unsere Ressourcen davon befreien, das Miteinander zu regeln, und uns damit anderen Dingen zuwenden, unter anderem der Arbeit.

Nonterritorial, was ist damit gemeint?

Die räumliche Dimension von sozialen Strukturen nennt man in der Umweltpsychologie „Territorien“. Nun gibt es eine neue Erfindung im Arbeitsleben – die nonterritorialen Büros. Gehen wir davon aus, dass es stimmt, was die Umweltpsychologie sagt, so würde das bedeuten, dass Betriebe, die nonterritoriale Büros einrichten, auf ihre sozialen Ordnungsstrukturen verzichten. Wir können wohl getrost annehmen, dass dies nicht stimmt. Was soll also die Bezeichnung „nonterritorial“ in diesem Zusammenhang. Vielleicht wird es etwas klarer, wenn wir die Differenzierung von Territorien betrachten, wie sie Altman vorgeschlagen hat. Er unterscheidet in primäre, sekundäre und öffentliche Territorien. Der Unterschied besteht im Ausschließlichkeitsanspruch, den man zu einem Raum oder räumlichen Bereich hat. Die Wohnung als privater Bereich eines Menschen, ist ein klares primäres Territorium. Der Ausschließlichkeitsanspruch ist hoch und sogar gesetzlich festgelegt. Die Privatheit der Wohnung steht sogar über dem Eigentumsrecht, was in unserer Gesellschaft doch bemerkenswert ist. Schon dies zeigt den hohen Stellenwert von Privatheit in unserer Gesellschaft. Eine Schulklasse wäre ein Beispiel für ein sekundäres Territorium, weil sie von einer Gruppe besetzt ist. Auch Gruppen haben und brauchen Privatheit und Territorien. Ein Beispiel für ein öffentliches Territorium wäre ein Tisch in einem Restaurant, eine Parkbank oder ähnliches, die von einzelnen Personen oder Gruppen nur für eine begrenzte Zeit beansprucht werden. Danach löst sich dieser Anspruch wieder auf und dieser Platz ist frei für andere Benutzer.

Sprachverwirrungen klären

Arbeitsplätze im üblichen Sinn („mein Arbeitsplatz, mein Schreibtisch usw.“) werden mit einem etwas geringerem Ausschließlichkeitsanspruch als die Wohnung versehen, sind aber auch keine sekundären Territorien, weil sie nicht von einer ganzen Gruppe, wie einer Schulklasse, benutzt werden, sondern doch einer Person zugeordnet sind. Man könnte sagen, klassische Arbeitsplätze sind zwischen primären und sekundären Territorien angesiedelt. Außerdem kommt damit zum Ausdruck, dass die Privatheit des Arbeitsplatzes wichtig ist.
Wie kann man nun „nonterritoriale Büros“ hier einordnen. Nachdem die Arbeitsplätze für eine gewisse Zeit eingenommen werden, wären die Plätze klassische öffentliche Territorien. Man kann jedoch davon ausgehen, dass nur die Mitarbeiter/innen des Betriebes berechtigt sind diese Arbeitsplätze zu besetzen. Somit haben sie auch Züge von sekundären Territorien. Knapp zusammengefasst kann man „nonterritoriale Büros“ zwischen sekundären und öffentlichen Territorien einordnen. Wir sind also weit davon entfernt, jegliche Territorialität aufzugeben. Der Grad an Territorialität ist jedoch um eine Stufe nach unten gerutscht. Es wäre also angebracht, für dieses Bürokonzept einen neuen Namen zu finden, der sich vielleicht positiv herleitet, also vom Zweck, den diese Büroform erfüllen sollte.

Es bleiben offene Fragen

Nachdem wir die Sprachverwirrung rund um die „nonterritoriealen Büros“ etwas gelichtet haben, bleiben aus umweltpsychologischer Sicht immer noch zahlreiche offene Fragen:

  • Was passiert mit der sozialen Struktur von Betrieben, die ihr räumliches Ordnungssystem (Territorien) so massiv verändern?
  • Was passiert mit den Menschen, die plötzlich ein primäres Territorium aufgeben müssen? Oder anders formuliert: Was passiert mit Menschen, die in den 8-10 Stunden des Arbeitens eine wichtige Möglichkeit zur Herstellung von Privatheit verlieren?
  • Wer hat einen Nutzen aus diesem Konzept, und wer wird letztlich die Zeche bezahlen?

Die etwas salopp ausgedrückte dritte Frage verlangt die Expertise verschiedener Fachbereiche, angefangen von der Betriebswirtschaftslehre über die Soziologie, Sozialpsychologie usw. Feststellen lässt sich, dass verschiedene Studien zu dem Thema unterschiedliche Ergebnisse bringen. Diese Studien sind jedoch auch aus verschiedenen Blickwinkeln durchgeführt worden. Die erste Frage ist zu komplex für diesen kurzen Blogartikel, und zugegebenermaßen geht es mir hier primär um die Perspektive auf den arbeitenden Menschen.
Als Autor des Buches „Humane Lebenwelten“ fühle ich mich klar der zweiten Frage verpflichtet, „was passiert mit den Menschen, die plötzlich ein primäres Territorium aufgeben müssen?“ Entsprechend dem Konzept, das wir in der Wohn- und Architekturpsychologie vertreten, sollten Räume menschliche Bedürfnisse erfüllen. Ob im Wohnbereich oder beim Arbeiten, immer geht es um Bedürfnisse, die jedoch teilweise, oder eher Großteils, nicht bewusst sind.

Die Funktionen von Territorien

Daher ist es an dieser Stelle angebracht, die Funktionen klarzulegen, die Territorien erfüllen sollen. Hinter diesen Funktionen stecken jeweils raumbezogene Bedürfnisse.
Territorien sind räumliche Ordnungsstrukturen sozialer Systeme – sie ordnen also unser Zusammenleben. Dies bringt Gewissheit, was wir von den anderen erwarten können und wie wir zueinander stehen. Territorien bedeuten Klarheit im Zusammen Arbeiten und vereinfachen soziale Interaktion.
Über Territorien zu verfügen bedeutet Kontrolle zu haben, und dies wirkt sich positiv hinsichtlich Selbstwirksamkeit und damit auch stabilisierend für psychische Gesundheit bzw. Burn Out Prävention aus.
Territorien zu haben gibt Sicherheit, Identität und Stabilität – der eigene Arbeitsplatz hat für viele Menschen eine hohe Bedeutung. Territorien verhindern Crowding bzw. Beengtheitszustände und wirken sich positiv auf Konzentration und kreative Arbeit aus. Territorien vermeiden Aggression, indem es zu weniger Konflikten kommt.

Wenn Territorien fehlen

Fehlen Territorien, ist also mit mehr Konflikten und mit mehr Aggression zu rechnen. Die wegfallenden Kontrollmöglichkeiten bewirken eine Schwächung von bereits angeschlagenen Personen, erlernte Hilflosigkeit wird häufiger. Es gibt weniger Gemeinschaft und weniger Kollegialität. Der direkte Tischnachbar wird ständig wechseln, also beginnt man in der Klärung von Regeln immer wieder von vorne. Auf der Ebene der betrieblichen Organisation ist mit unklaren Rollen zu rechnen.

Der Nutzen von nonterritorialen Büros

Wenn das Herabstufen der Territorialität so viele Nachteile bzw. Probleme mit sich bringt, wieso sind sie dann entstanden? Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum Einen ist es eine Möglichkeit, die Nutzungszeiten der einzelnen Arbeitsplätze deutlich zu erhöhen. In diesem Sinne sind nonterritoriale Büros eine organisatorische Nutzungsstrategie mit deutlichem finanziellen Gewinn, der dem Betrieb zugute kommt.
Der zweite Nutzen von nonterritorialen Büros ist die deutlich höhere Flexibilität. Man ist als Mitarbeiter/in nicht an den eigenen Arbeitsplatz gebunden, sondern kann die Arbeit irgendwo im Betrieb erledigen, und man hat eine deutlich höhere Auswahl an verschiedenen Angeboten. Man kann sehr leicht von einem Arbeitsplatz für konzentriertes Arbeiten in eine Besprechungssituation wechseln. Für die Mitarbeiter/innen bringt dieses Konzept also ebenso den Vorteil einer höheren Flexibilität und Selbstbestimmung hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsmittel. Vor allem für höher qualifizierte Mitarbeiter/innen sind hier deutliche Vorteile zu sehen.

Conclusio

Nonterritoriale Büros sind zum aktuellen Erkenntnisstand sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Sie können zwar einige betriebswirtschaftliche Probleme lösen und kommen auch verschiedenen Bedürfnissen der Mitarbeiter/innen entgegen. Sie werfen jedoch gleichzeitig für andere Mitarbeiter/innen ebenso viele, wahrscheinlich sogar mehr neue Problem auf. Die oben beschriebenen Problempunkte kommen erst mittel- und langfristig zur Wirkung. Als sehr bedenklich stufen wir dabei ein, dass dieses Konzept vor allem einer Personengruppe entgegenkommt, nämlich den hochqualifizierten und aufstrebenden Mitarbeitern, die meist auch stärker belastbar sind. Weniger entgegen kommt dieses Konzept jenen Menschen, die unter der Arbeitsbelastung leiden, die häufiger überlastet sind, und die daher von klaren räumlichen Strukturen profitieren würden, da sie hier einen Anker haben, der Stabilität gibt.
Wenn man es schafft, die nonterritorialen Büros ersterer Gruppe zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig der zweiten Gruppe fixere räumliche Strukturen, wäre man architektur- und umweltpsychologisch betrachtet am richtigen Weg. Dies würde zu einer Ausgewogenheit von Flexibilität und Stabilität führen.